Ein Erfahrungsbericht von Ulrike Stephan,
Referentin Forum Familienbildung bei der eaf e. V.
und Dozentin im Bundesprogramm „Elternchance“
"Hallo, sind Sie da?"
"Ihre Kamera ist noch aus. Sie müssen sich entstummen. Bitte benennen Sie sich um. Sorry, ich bin rausgeflogen. Meine Internetverbindung ist heute nicht stabil. Ich teile den Bildschirm. Wechseln Sie von der Galerieansicht in die Sprecheransicht. Für Nachfragen nutzen Sie bitte den Chat oder die blaue Hand."
Kommt Ihnen das bekannt vor?
Es gab eine Zeit, in der ich nicht wusste, was Webex, Teams, BigBlueButton, Zoom, Tools, Breakoutsessions, Padlet, Mentimeter und Screenshots sind. Und heute – mehr als drei Jahre später – alles selbstverständlich, alltäglich und nicht mehr wegzudenken. Willkommen in der digitalen Welt! Haben Sie schon den neusten Schrei ausprobiert? Ein KI-Chatbot, „Generative Pre-trained Transformer“ (kurz ChatGPT genannt), beantwortet in Sekundenschnelle Fragen (z. B. Was ist Familienbildung? (https://www.eaf-bund.de/service/familienbildung-was-ist-das), fasst längere Texte zusammen oder kürzt sie.
Bis März 2020 war ich als Referentin im Forum Familienbildung bei der eaf e. V. neben meiner alltäglichen Bildschirmtätigkeit im Büro in Berlin-Mitte auch sehr oft mit der Bahn unterwegs. Ich bin im ganzen Land vielen Menschen auf Konferenzen, Fachtagungen, in Arbeitsgruppen, Netzwerktreffen und Familienbildungsstätten begegnet. Und als Dozentin im Rahmen des Bundesprogramms „Elternchance“ habe ich bundesweit in verschiedenen Tagungshotels viele Elternbegleiter:innen qualifizieren dürfen.
Dann kam Corona. Alle Präsenzveranstaltungen, Kurse und Arbeitssitzungen wurden abgesagt. Statt im Büro Kolleg:innen zu treffen, saß ich allein vor meinem Laptop im „Homeoffice“. Die Bahncard und die Monatskarte verschwanden in der Schublade. Anstehende Veranstaltungen und Meetings wurden abgesagt. Was tun? Besondere Zeiten erfordern besondere Maßnahmen, Ideen und Projekte. Das galt nicht nur für mich und das Team in der Servicestelle, sondern vor allem für die Kolleg:innen und Mitarbeiter:innen in den Familienbildungsstätten. Als Erstes sammelten wir Inspirationen für den Familienalltag im Ausnahmezustand sowie Empfehlungen und kreative Fundstücke für die Fachkräfte. (https://www.eaf-bund.de/service/coronavirus-und-familienalltag)
Zoomst du schon oder lebst Du noch?
Dann haben wir uns über mögliche Online-Tools und Datenschutz informiert, mit Kameras und Headset ausgerüstet, fortgebildet und vieles ausprobiert. Die Familienbildungsstätten suchten händeringend nach neuen Wegen und Formaten, um mit den Familien auch während des Lockdowns in Kontakt zu bleiben und Unterstützung anzubieten. Viele Kolleg:innen meldeten großen Bedarf an Weiterbildung bezüglich technischer Grundausstattung, Nutzung von Videokonferenzsystemen und weiteren Tools an. An unseren insgesamt 19 Online-Veranstaltungen mit den Schwerpunkten Videokonferenz-Systeme in der Praxis, Methodische und didaktische Gestaltung von digitalen Bildungsformaten, Nutzung von Social Media, Elternabende online gestalten, Videoclips und Erklärfilme selbst erstellen sowie Ad-hoc-Austauschtreffen haben von Mai bis Dezember 2020 mehr als 450 Fachkräfte teilgenommen. Im Vergleich: Im Kalenderjahr 2019 fanden 11 Präsenz-Veranstaltungen mit 287 Teilnehmenden statt. (https://www.eaf-bund.de/publikationen/jahresberichte)
Aufgrund der positiven Erfahrungen, mit Online-Formaten bundesweit viele Interessierte zu erreichen, haben wir für die kommenden Jahre weitere Online-Bildungsformate entwickelt. Darunter die Vortragsreihe „Familienbildung im Gespräch mit Wissenschaft und Forschung“ in deren Rahmen bisher zehn Referent:innen jeweils eine neue Studie bzw. ein aktuelles Thema vorgestellt haben. Die Vorträge haben wir auf unseren - natürlich neu eingerichteten - YouTube-Kanal eingestellt, sodass sie jederzeit nachgesehen werden können. (https://www.youtube.com/channel/UCGbUnlhJTMk2y6ihc9VM-fw)
Auch die Arbeitstagungen des Netzwerkes evangelischer und katholischer Eltern-Kind-Gruppen Deutschland (NEKED) fanden neuerdings per Zoom statt. Denn in der Regel trafen wir uns zweimal im Jahr in einem Tagungshaus in Mainz und Hannover. Nun sahen wir uns plötzlich mehrmals im Monat am Bildschirm, um zu überlegen, wie Eltern-Kind-Gruppen als Kernangebot der Familienbildung auch online angeboten werden können. Wir erarbeiteten gemeinsam das Konzept „Eltern-Kind-Gruppen gehen online - Wie geht das?“. Es wurde eine Arbeitshilfe und mehrere Erklärvideos zu deren Umsetzung erstellt. Dazu haben wir für die Multiplikator:innen und Kursleitungen mehrere Online-Fortbildungen und Austauschtreffen durchgeführt. (https://www.eaf-bund.de/schwerpunkte/neked-netzwerk )
Elternbegleitung digital?
Die Umstellung der Kurse auf ein Online-Format war auch für die Dozent:innen im Bundesprogramm „Elternchance“ eine große Herausforderung. (https://www.konsortium-elternchance.de) Wie soll das gehen? DIALOG online? Wie lässt sich die dialogische Haltung allein sitzend vor dem Bildschirm vermitteln? Ohne die Atmosphäre im Stuhlkreis, das kommunikative Miteinander, den Austausch in der Gruppe, die vielfältigen und lebendigen Methoden… unvorstellbar!
Die Zentralstelle hat sehr schnell die Initiative ergriffen und gemeinsam mit dem Konsortium und den Dozent:innen die ersten Hürden genommen: Die technischen Voraussetzungen wurden geschaffen, ein Digitales Curriculum entwickelt und Online-Fortbildungen für die Dozent:innen gegeben. Nach den ersten digitalen Blöcken wurden die Dozent:innen zu Online-Austauschtreffen eingeladen und alle konnten von den Erfahrungen profitieren. Unter den Kolleg:innen wurden Methoden, Tipps, Materialien und hilfreiche Links ausgetauscht. Alle gaben ihr Bestes und zeigten eine große Bereitschaft und Offenheit, die Herausforderung anzunehmen. Wir wuchsen mit den Aufgaben und haben in der digitalen Welt mit neuen Möglichkeiten gemeinsam viel gelernt.
Und die Teilnehmer:innen? Auch sie waren skeptisch und hatten viele Vorbehalte. Für alle war es das erste Mal. Statt Kofferpacken und Reiseroute planen, sollten sie sich um eine stabile Internetverbindung (eventuelle LAN-Kabel) kümmern, zwischen den Browsern Firefox oder Chrome wählen bzw. die Zoom-Anwendung herunterladen, sich ein (USB-) Headset und funktionierende Webcam besorgen. Sie mussten über einen Computer oder Laptop verfügen, da sich mobile Geräte wie Smartphones oder Tablets nicht eigneten. Und dann noch die Hürde mit dem Zugangslink… Die Aufregung in den 20 Kacheln auf dem Bildschirm war bei allen zu spüren, fast genauso wie in Präsenz im Stuhlkreis. Nach ersten Einführungen und Tests ging es zum Kennenlernen in Kleingruppen, neudeutsch Breakoutsessions genannt. Je besser alles funktionierte und je sicherer die Teilnehmer:innen im Umgang mit dem neuen Medium wurden, desto entspannter und lockerer ging es zu.
Was geht? Was bleibt?
Bundeskonferenz:
Die Pandemie war eine Zeit der Frustrationen aufgrund der Absagen präsenter Veranstaltungen und Treffen. Dazu gehörte auch die Verschiebung der Bundeskonferenz von 2020 auf 2021. Doch Dank der digitalen Möglichkeiten konnten wir alternativ im Juni 2020 ad hoc eine Fachtagung aus aktuellem Anlass zum Thema „Familienbildung in Corona Zeiten – und danach?!“ organisieren und online durchführen. Als wir allerdings 2021 aufgrund der Hygienebestimmungen in dem Tagungshotel die Bundekonferenz wiederholt absagen mussten, war die Enttäuschung besonders groß. Nach einem Jahr Arbeit in der digitalen Welt waren wir aber inzwischen flexibel und erfahren genug, um auch die Fachtagung zum Thema „Familienbildung für alle?! Zwischen Anspruch und Wirklichkeit“ online zu veranstalten. (https://www.youtube.com/watch?v=LdFjjCClWf8&list=PLyvzUXbdOYCybMNrKW39Oa_YqsNWkgYut)
Und dann endlich konnten wir uns im Juni 2022 in Magdeburg live und in voller Körpergröße wiedersehen. Die Freude war groß! Echte Begegnungen mit persönlichen Gesprächen in kleinen und großen Runden haben allen gefehlt. Und die gute Nachricht: Die Bundeskonferenz wird in Zukunft, wenn möglich, immer livehaftig stattfinden! (https://www.eaf-bund.de/publikationen/dokumentationen)
Veranstaltungen:
Inzwischen haben wir die Vorteile der digitalen Möglichkeiten schätzen gelernt und niemand möchte sie mehr missen. Im Jahr 2021 zeigte sich das deutlich: 625 Personen haben an unseren sechzehn Online-Veranstaltungen mit insgesamt 26 Veranstaltungstagen teilgenommen. Statt im Stau zu stehen oder die Unpünktlichkeit der Bahn zu verfluchen, bangen wir nur noch um eine stabile Internetverbindung. Sich in Jogginghose von zu Hause aus in eine zwei- bis dreistündige Veranstaltung einzuwählen, ist nicht nur bequem, sondern auch ressourcensparend. Reisezeit und -kosten sowie die Tagungsgebühren entfallen. Diese Vorteile nutzen wir seitdem auch für Arbeitsgruppen, Netzwerktreffen und Ad-hoc-Austauschrunden mehrfach und regelmäßig. Und an Online-Abendveranstaltungen zu pädagogischen Themen können auch Honorarkräfte, Ehrenamtliche und alle anderen interessierten Personen teilnehmen.
Was fehlt sind echte Begegnungen, die Gespräche zwischendurch und die gemeinsamen Kaffeepausen. Die Nutzung der Chatfunktion ist da nur ein kleiner Trost. Deshalb werden wir jährlich auch weiterhin Veranstaltungen in Präsenz anbieten. Wir freuen uns schon auf euch bei unserer nächsten Bundeskonferenz am 10. und 11. Juni 2024 in Paderborn.
Eltern-Kind-Gruppen-Arbeit:
Die Online-Angebote während der Pandemie waren eine hilfreiche Alternative, um vor allem Eltern nach der Geburt eines Kindes zu unterstützen. Mit der schrittweisen und komplizierten Öffnung der Einrichtungen konnten gemäß der geltenden Hygienebestimmungen, die natürlich überall anders definiert waren, wieder nach und nach Gruppentreffen in Präsenz stattfinden. Wir – die Kolleginnen von NEKED – haben auch für diese herausfordernde Zeit Online-Austauschtreffen für die Einrichtungs- und Kursleitungen angeboten.
Und dann kam die nächste Herausforderung: Nach dem Ausbruch des Ukraine-Krieges flüchteten viele Familien, vor allem Mütter mit ihren Kindern, zu uns nach Deutschland. Familienbildungsstätten und Kirchengemeinden entwickelten insbesondere für geflüchtete junge Frauen mit Babys und Kleinkindern vielfältige Angebote. Was brauchen diese Familien und wie können wir sie unterstützen? Auch dazu haben wir uns mit den Leitungskräften und Kursleiter:innen online ausgetauscht. Unseren YouTube-Kanal verwendeten wir, um für Eltern-Kind-Gruppen Begrüßungs- und Abschiedslieder auf Ukrainisch zu produzieren und einzustellen. (https://www.youtube.com/channel/UCGbUnlhJTMk2y6ihc9VM-fw)
Die digitalen Möglichkeiten nutzten wir 2021/22 auch für eine Studie zur Wirkung von Eltern-Kind-Gruppen am Beispiel von DELFI®-Kursen (Denken, Entwickeln, Lieben, Fühlen, Individuell). Hierfür wurden Teilnehmer:innen an DELFI®-Kursen zu ihren Erwartungen an den Kurs sowie zu dem wahrgenommen Kompetenzzuwachs befragt. Zur Datenerhebung wurde Ende 2021 eine Online-Befragung von Eltern zu Beginn eines Kurses und während der Kursteilnahme (ca. 4 bis 6 Monate nach Beginn) durchgeführt. In einer zweiten Online-Befragung im Sommer 2022 standen die langfristigen Wirkungen des Kurses im Mittelpunkt. In diesem Rahmen wurden die Eltern auch gezielt zur Bedeutung der Kurse für die Bewältigung der pandemischen Belastungen seit dem Frühjahr 2020 gefragt. Die Studien zeigen, dass die Kurse nachhaltig wirken, und zwar sowohl in Bezug auf die Erziehungskompetenzen der Eltern, als auch im Hinblick auf die Gestaltung des Familienalltags und den Aufbau sozialer Beziehungen zwischen Familien. (https://www.eaf-bund.de/schwerpunkte/eltern-kind-gruppen).
Der vorläufige Höhepunkt unserer erfolgreichen Arbeit in den letzten dreieinhalb Jahren wird unsere Tagung „Eltern-Kind-Gruppen: Die wahren Helden der Familienbildung“ vom 5. - 6. Dezember 2023 in Hildesheim sein. Wir freuen uns auf die echten Begegnungen!
Was bleibt? Auf jeden Fall ein starkes Netzwerk, welches neben den präsenten Arbeitstreffen die Möglichkeiten für einen bundesweiten Online-Austausch auch weiter anbieten wird. Ebenso sind die viermal im Jahr an einem Abend stattfinden Online-Fortbildungen für Fachkräfte der Eltern-Kind-Gruppen-Arbeit fest etabliert.
Eine zukünftige Rolle wird auch in diesem Bereich die „Digitale Lebenskompetenz“ spielen. Hier ist unsere NEKED-Kollegin Paula Lichtenberger, Referentin für Familienbildung im Zentrum Bildung bei der Evangelische Kirche in Hessen und Nassau (EKHN), in dem Projekt „Familienleben und Digitalisierung“ der Arbeitsgemeinschaft Hessische Familienbildung (AHF) aktiv. (https://www.familien-digital.de) In ihrem Beitrag in unserer FPI 2/2023 schreibt sie, dass „Die gewonnen Erfahrungen zeigen, dass in einem Folgeprojekt die Neukonzeptionierung eines Bildungsformates für Eltern und Kinder (0-3 Jahre) zum Thema `Digitale Lebenskompetenz` und die medienpädagogische Qualifizierung von pädagogischen Fachkräften vertieft werden sollten.“ (Fachzeitschrift FPI – Familienpolitische Informationen – eaf (eaf-bund.de))
Beispiele aus der Familienbildung:
Die Fachkräfte der Familienbildung haben während der Lockdown-Zeiten mit großem Engagement viele kreative Möglichkeiten entwickelt, um mit den Eltern in Kontakt zu bleiben, und Familien besonders in dieser schwierigen Zeit zu unterstützen. Als klar wurde, dass die Pandemie nicht so schnell vorbei sein wird, wurden einige Angebote in die digitale Welt verschoben. Mit der technischen Ausstattung und der Bereitschaft, neues auszuprobieren, wurden Kurse, wie z. B. Babymassage und Yoga, von Wohnzimmer zu Wohnzimmer transportiert. Nicht alle Kursleiter:innen und auch nicht alle Teilnehmer:innen haben sich an diesen Online-Formaten beteiligt und sind uns deshalb leider verloren gegangen.
Ein Schwerpunkt der Familienbildungsarbeit ist es, (geschützte) Räume für Begegnungen und Möglichkeiten zum Austausch zu bieten. Das ist digital nur bedingt möglich. Und trotzdem wurden durch die Online-Formate Chancen genutzt, um noch mehr und z. T. auch neue Zielgruppen zu erreichen. Inzwischen gelingt das beispielhaft in Württemberg und Niedersachsen. Die evangelische Landesarbeitsgemeinschaft der Familien-Bildungsstätten in Württemberg (LEF) hat das Projekt „FAMILY CLICK – Der Web-Talk für Eltern“ initiiert. (https://www.lef-wue.de/lef-projekte/familyclick) Informativ – persönlich – ortsunabhängig findet immer Montagabend ein Web-Talk zu verschiedenen Themen statt. In der Online-Reihe der Familienbildungsstätten Niedersachsen „Kinderleicht erziehen“ wird einmal monatlich ein Themen-Elternabend angeboten. (https://www.fabi-hannover.de/Weitere-Angebote/eafkinderleicht) Beide Veranstaltungsreihen sind kostenfrei und zeichnen sich durch eine hohe Teilnahmezahl auch über die Landesgrenzen hinaus aus. Denn die Vorteile für diesen niedrigschwelligen und ressourcensparenden Zugang liegen auf der Hand: Das Zuhause muss nicht verlassen werden, Alleinerziehende und Elternpaare können teilnehmen, denn ein Babysitter ist nicht nötig. Und die Familienbildungsstätten können in ihrem Netzwerk Ressourcen bündeln und die vielen teilnehmenden Eltern in ihre Einrichtungen vor Ort mit den qualitativ hochwertigen Angeboten einladen.
Die Landesarbeitsgemeinschaft Ev. Familienbildung Berlin hat die Zeit genutzt, um einen Online-Zertifikatskurs für Eltern-Kind-Gruppenleiter:innen zu konzipieren. Dieser wurde bereits dreimal durchgeführt und ist weiterhin sehr nachgefragt.
Wie bereits erwähnt, hat sich die Arbeitsgemeinschaft Hessische Familienbildung (AHF) unter dem Motto „Digital und doch ganz nah“ das Ziel gesetzt, Familien in der Digitalisierung kompetent zu begleiten. Seit 2021 werden an 14 Pilotstandorten neue digitale Bildungsformate entwickelt, denn durch die fortschreitende Digitalisierung haben sich auch die Bedarfe junger Eltern verändert. Im Rahmen des dreijährigen Projektes „Familienleben und Digitalisierung“ gibt es für die Fachkräfte Workshops und Fachtage zu den Schwerpunkten Digitale Präsenz, Medienkompetenz (analoge und digitale Formate) und Medienpädagogische Inhalte. (https://www.familien-digital.de)
Elternbegleitung:
Bei der Umstellung der Qualifizierung für Elternbegleiter:innen von Präsenz auf Online mussten wir uns von vielen liebgewonnenen Methoden verabschieden. Schnell wurde klar, dass eine 1:1 Übertragung nicht möglich ist. Trotzdem ist es uns gelungen, einige Übungen zu adaptieren sowie neue zu entwickeln und auszuprobieren. Mit viel Engagement und learning by doing haben wir es geschafft, die Qualitätsstandards der Qualifizierung zu erhalten.
Für die Teilnehmenden hat das Online-Format Vorteile, aber auch Nachteile. Vielen Fachkräften, besonders Müttern, kommt die Möglichkeit, von Zuhause aus daran teilzunehmen, sehr entgegen. So können sie die Kinderbetreuung mit einer beruflichen Weiterbildung vereinbaren. Allerdings ist diese Doppelbelastung spürbar, besonders wenn das Kind krank wird und keine andere Betreuungsperson zur Verfügung steht. Auch für Fachkräfte, vor allem Leitungskräfte, die aufgrund hoher Arbeitsbelastung in ihren Einrichtungen nicht fehlen können, ist die Online-Möglichkeit attraktiv. Doch auch hier zeigt sich, dass diese Verfügbarkeit ebenfalls zu Lasten der Konzentration geht. Wenn Kinder oder Arbeit mit im Raum sind, ist eine hundertprozentige Teilnahme ausgeschlossen. Mit einem schnellen Klick kann das Video ausgeschaltet werden, um das Kind zu trösten oder mit der Kollegin zu telefonieren. Später kommen, früher gehen, ab und an mal „aussetzen“ ist im Online-Format einfacher möglich, als geräuschlos den Stuhlkreis in einem Tagungsraum zu verlassen. Zukünftig wäre es den Teilnehmenden zu wünschen, dass sie sich auch im Online-Format die Auszeit von (Arbeits-)Alltag und Familie nehmen können.
Trotz alledem ist es für die Elternbegleiter:innen und Dozent:innen eine erstaunliche Erfahrung, dass weder inhaltlich noch atmosphärisch etwas von dem „Elternchance-Spirit“ verloren gegangen ist. Wie im Stuhlkreis spielen, lachen und weinen wir auch vor dem Bildschirm. Aktive Einbindung, Austausch, Vernetzung, Zuwendung und Wertschätzung gelingen auch digital. Die Rückmeldungen der Kursteilnehmer:innen belegen, dass sie nicht nur inhaltlich-fachlich und „dialogisch“ viel gelernt, sondern durch und mit dem Online-Format auch digitale Expertise und Sicherheit erfahren haben. Auch die Projekte inklusive Abschlussarbeiten und Kolloquium zeigen keinerlei Qualitätseinbußen. Im Ergebnis ist Online wie Präsenz, nur anders!
Es ist sehr zu begrüßen, dass die Qualifizierung „Elternbegleiter:in“ im Rahmen des Programms „Verstetigung und Qualitätssicherung von Elternbegleitung“ mit einer dritten Staffel fortgesetzt wurde. Das Präsenzformat wurde mit Hybrid und Digital ergänzt. Nicht mit „Entweder -Oder“, sondern mit „Sowohl als auch“ wird eine bedarfsgerechte Teilnahme ermöglicht. Insofern wäre es sehr wünschenswert, wenn die Qualifizierung auch nach 2024 fortgesetzt würde. Diese sollte dann um das Thema „Digitalkompetenzen“ erweitert werden. Da Kinder heute in digitalen Familien aufwachsen, benötigen Fachkräfte und Eltern auch immer mehr Kompetenzen im Umgang mit digitalen Medien. Deshalb brauchen wir Impulse, Angebote und Konzepte zur Stärkung digitaler Lebenskompetenzen in der Familie. Dies betrifft auch die Qualität der Elternbegleitung, denn “(digitale) Lebenskompetenzen” umfassen alle Kompetenzbereiche, die helfen, uns in einer immer schneller werdenden, immer komplexeren und immer stärker vernetzten Welt zurechtzufinden. (https://www.konsortium-elternchance.de/) Dafür hat, siehe auch unter Beispiele aus der Familienbildung, die Arbeitsgemeinschaft Hessische Familienbildung (AHF) das Projekt „Familienleben und Digitalisierung“ gestartet. Sie hat sich zur Aufgabe gemacht, Familien als ersten Bildungsort zur Förderung der Medienkompetenz von Kindern zu stärken. Dafür werden umfangreiche Qualifizierungsmaßnahmen für Fachkräfte angeboten, um sie kompetent durch die Digitalisierung zu begleiten. (https://www.familien-digital.de/)
Mein persönliches Fazit
Das erste Jahr mit der Pandemie habe ich als besonders herausfordernd und anstrengend in Erinnerung. Ich musste mich quasi über Nacht auf völlig neue Arbeitsbedingungen umstellen. Veranstaltungen, Fortbildungen, Arbeitstagungen und Netzwerktreffen ausschließlich in der digitalen Welt konnte ich mir bis dahin nicht vorstellen. Doch Abwarten und Nichtstun war keine Option. Ich musste meine Einstellung und Haltung ändern. Ich musste bereit sein, meine Unsicherheiten und Abneigungen gegen Mut und Offenheit einzutauschen. Dazu habe ich viel Einsatz und starke Nerven benötigt. Der Weg ins Büro und zurück verkürzte sich von je 20 km auf 10 m zwischen Bett und Schreibtisch. An manchen Tagen hatte ich das Gefühl, mich in Zoom, Webex und Teams zu verlieren. Oft verließ ich die eine Plattform, um mich ohne Pause sofort in die andere wieder einzuwählen. Während ich einem Vortrag lauschte, las und beantwortete ich E-Mails oder recherchierte für den nächsten Infobrief. Oder ich machte mir mit den Kopfhörern in den Ohren und dem Laptop in der Küche einen Latte Macchiato. Die Arbeitsdichte erforderte mehr Multitasking, die Online-Meetings mehr Konzentration – die Erschöpfung nahm immer mehr zu. Zum Glück hatte ich „nebenbei“ kein kleines Kind mehr zu betreuen oder ein Schulkind im Homeschooling zu begleiten. Den täglichen Besuch bei meiner kranken Mutter im Pflegeheim konnte ich meist mit einem Waldspaziergang oder Einkauf verbinden.
Es war eine sehr arbeitsintensive, innovative und kreative, aber auch anstrengende Zeit. Doch es hat sich gelohnt! Ich kann mich nicht erinnern, dass ich jemals in einer relativ kurzen Lebensphase so viel Neues gelernt habe. Dazu gehören auch Fehlerfreundlichkeit und Gelassenheit. Und dank der unzähligen Kacheln auf dem Bildschirm habe ich sehr oft so viele bekannte und unbekannte Gesichter aus dem ganzen Bundesgebiet gesehen, wie in den vielen Jahren zuvor nicht. Mit einigen Kolleg:innen, vor allem aus dem NEKED-Netzwerk hat sich die Zusammenarbeit intensiviert, mit anderen Kolleg:innen hat sich ein erstmaliges Kennenlernen ergeben. Wir sind in der digitalen Welt zusammengerückt. Und auch diese „Nebenwirkungen“ nach dem ersten Jahr möchte ich nicht unerwähnt lassen: Mein Lieblingslippenstift war aufgebraucht und mein Kleiderschrank um zwei Jogginghosen reicher.
Was bleibt? Für die Online-Veranstaltungen kann ich zeitnah Referent:innen zu aktuellen Themen gewinnen. Ich kann bedarfsorientierter und flexibler planen. Das ist ein großer Gewinn für alle Beteiligten. Denn die digitalen Formate bieten nicht nur für die Referent:innen und mich, sondern auch für die Teilnehmenden einen leichten, ressourcensparenden Zugang.
Trotzdem haben mir die persönlichen Begegnungen sehr gefehlt, vor allem meine Besuche in den Familienbildungsstätten. Einrichtungen kennenzulernen und mit Kolleg:innen vor Ort zu sprechen, das ist nur real möglich und habe ich erst in diesem Frühjahr wieder erleben und genießen dürfen.
Für die Familienbildungsstätten vor Ort ergänzen die digitalen Angebote die Angebote vor Ort. Für das Forum Familienbildung ergänzen die Präsenz-Veranstaltungen die Online-Veranstaltungen. Ein „Entweder-Oder“ wird es nicht mehr geben. Wir sind auf dem Weg zum „Sowohl als auch“ und noch lange nicht am Ziel. Besonders in den digitalen Bildungsformaten steckt noch sehr viel Potential, das es zu entdecken, zu entwickeln und zu nutzen gilt.
Danksagung: Ich möchte meinen Kolleg:innen in der Geschäfts- und Servicestelle danken. Ohne das Vertrauen, die Unterstützung und Mitarbeit, besonders von Andreas Zieske, Cornelia Lange und Janina Noormann, hätte ich dieses Resümee nicht ziehen können. Mein besonderer Dank gilt auch den Kolleg:innen aus dem Netzwerk evangelischer und katholischer Eltern-Kind-Gruppen Deutschland (NEKED). Ihr seid großartig! Und last but not least danke ich allen Kolleg:innen aus der Familienbildungsarbeit und den Dozent:innen von „Elternchance“ für ihre Bereitschaft, Offenheit und Fehlerfreundlichkeit auf unserem gemeinsamen digitalen Weg.
Ich freue mich auf die weitere Zusammenarbeit! Wir sehen uns – am Bildschirm und im richtigen Leben!