Eiskalt erwischt?! Nicht mit uns!

Klimapolitik für und mit Familien

Wie nehmen Menschen die Bedrohungen durch die Klimakrise wahr? Vor welche Herausforderungen werden Familien durch die unmittelbaren Auswirkungen des Klimawandels gestellt? Welche Auswirkungen haben klimapolitische Maßnahmen auf den Alltag in Familien? Diesen Fragen gingen wir auf unserer Fachtagung 2023 „Eiskalt erwischt?! Nicht mit uns! Klimapolitik für und mit Familien“ gemeinsam Wissenschaftler:innen, Expert:innen aus Diakonie, Kirche und Zivilgesellschaft sowie zahlreichen Teilnehmer:innen aus den eaf-Mitgliedsverbänden und Familienbildungsstätten nach. Die Beiträge aus ganz unterschiedlichen Fachgebieten und Blickwinkeln setzten über zwei Tage hinweg wie Puzzleteile ein großes Bild zusammen, das zeigte, welche Fragen und auch welche Antworten es für uns als Familienverband im Zusammenhang mit der Klimakrise und der Transformation der Gesellschaft zu bedenken gibt.

Zum Einstieg in die Tagung beschrieb Prof. Dr. Stefan C. Aykut (Universität Hamburg), ausgehend von den gegenwärtigen Auswirkungen des weltweiten Klimawandels, die sozialen Dynamiken, die mit der Klimawende als einer gesellschaftspolitischen Konfliktlage verbunden sind. Einer seiner zentralen Befunde: „Als Prozess gesellschaftlichen Wandels schöpft die Energiewende ihre Dynamik ganz zentral aus ökonomischer Teilhabe und demokratischer Mitbestimmung.“

Stephan Gabriel Haufe (Pressesprecher im Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz) betonte in seiner Videobotschaft die zentrale Rolle der Politik dabei, Rahmenbedingungen zu schaffen, unter denen klimafreundliches Verhalten für die Bürger:innen möglich ist. „Es muss einfach sein, klimafreundliche Alternativen zu wählen“, erklärte er während der anschließenden Diskussion.

Moderiert von Eva Brackelmann (eaf Sachsen) widmeten sich Doris Lorenz (Heinrich-Böll-Stiftung Schleswig-Holstein) und eaf-Präsident Prof. Dr. Martin Bujard auf dem Podium unter reger Beteiligung des Publikums der Frage, wie die Klimakrise individuelle Lebensentscheidungen, wie zum Beispiel die Familiengründing, beeinflusst.

Mit Grußworten leiteten Staatssekretär Johannes Albig (Ministerium für Soziales, Jugend, Familie, Senioren, Integration und Gleichstellung Schleswig-Holstein) und Bischof Gothart Magaard (Sprengel Schleswig und Holstein) zum festlichen Abendempfangs über. Auf Einladung der Nordkirche hatten die Teilnehmer:innen Gelegenheit im kleinen Kreis weiter zu diskutieren.

Am zweiten Tag konzentrierten wir uns auf die Auswirkungen der Klimakrise auf das gesellschaftliche Umfeld der Familien, die sozialen Konsequenzen und auf die Handlungsoptionen für die Menschen. Dr. Ingo Wolf (Forschungsinstitut für Nachhaltigkeit (RIFS) - Helmholtz-Zentrum Potsdam) stellte die Ergebnisse des Sozialen Nachhaltigkeitsbarometers vor. Die Zustimmung und Unterstützung der Bevölkerung für eine Transformation ist weiterhin hoch. Bemerkenswert dabei: Viele Bürger:innen unterschätzen die gesellschaftliche Befürwortung für Klimaschutzmaßnahmen teilweise stark. Diese Erkenntnis ist vor allem deshalb relevant, weil sich viele in ihrer eigenen Beurteilung von der vermeintlichen Mehrheitsmeinung bzw. vermuteten Meinung in ihrer Referenzgruppe leiten lassen.

Wiebke Rockhoff (Diakonie Deutschland) beleuchtete in ihrem Vortrag die Auswirkungen von klimapolitischen Maßnahmen auf die soziale Lage von Familien: Kosten für den Klimaschutz treffen Haushalte mit geringem Einkommen überproportional, hier muss die Politik für sozialen Ausgleich sorgen. Klug ausgestattete politische Instrumente für die sozial-ökologische Transformation können Ungleichheit verringern. Dabei dürfen soziale und ökologische Fragen nicht gegeneinander ausgespielt werden. Wichtig ist auch hier: Keine klimapolitischen Maßnahmen zu ergreifen, bedeuten nicht, dass die Ungleichheit nicht vorhanden wäre oder sich die Situation für Menschen mit geringem Einkommen dann verbessern würde. Nicht-Handeln ist keine Option!

Einen spannenden Einblick in die Praxis erhielten wir von Christian Ledig, der die Arbeit der Klima Arena Sinsheim vorstellte. Er zeigte: Gute Bildungsangebote für die ganze Familie sind unverzichtbar für das Gelingen der Klimawende und die sozial-ökologische Transformation unserer Gesellschaft.

In diesem Jahr waren wir mit unserer Tagung in Rendsburg zu Gast. Bei einem Eis direkt am beeindruckenden Nord-Ostsee-Kanal lernten unsere Teilnehmer:innen Sylvia Gerdes (Familienwerkstatt Rendsburg) sowie die Klimaschutzmanagerinnen Dr. Kerrin Trimpler und Nina Hensel, (Nordkolleg Rendsburg) kennen, die von ihren kommunalen und praxisorientierten Projekten und Vorhaben vor Ort berichteten.

Gestärkt ging es danach weiter mit den nächsten Themenblock, bei dem wir den Blick auf Kirche und Religion lenkten: Auf wie vielfältige Weise die Kirche selbst für den Schutz des Klimas aktiv wird, zeigten uns zunächst Anika Tobaben und Dr. Inga Hillig-Stöven. In  einem kleinen Parcours informierten sie über Klimaschutzprojekte aus der Nordkirche: Klimatalk-Karten, Sonnenzeit-Materialheft für 0-6jährige, eine App mit Bildungsmaterialien der Jungen Nordkirche, KlimaSail für Jugendliche, Jugendklimakonferenz und internationaler Jugendklimaaustausch sowie das Projekt „Vielfalt wächst – Klimabewusstsein erden“ des Frauenwerks der Nordkirche.

Die Daten des aktuellen Religionsmonitors der Bertelsmann Stiftung wiederum verdeutlichen: Bei der Bewältigung der Corona-Krise hat Religion gesamtgesellschaftlich eine eher untergeordnete Rolle gespielt. Aber: Religiöse Menschen sind stärker in Beziehungsnetze eingebettet und werden in Krisensituationen eher aufgefangen als nicht religiöse. Die Kirche kann in einer Krise soziale Kraft entfalten, denn Gemeinden bieten vor Ort wichtige Strukturen, um Hilfe zu erhalten und anzubieten, auch für konfessionslose Menschen.

Dr. Edgar Wunder (Sozialwissenschaftliches Institut der EKD) ergänzte den Religionsmonitor um Daten aus der aktuellen Kirchenmitgliedschaftsuntersuchung (KMU), die in diesem Jahr auch Fragestellungen zum Themenkreis Klimawandel enthielt. Spannend war dabei seine Feststellung, dass es quasi gesellschaftlicher Konsens auch unter konfessionslosen Menschen sei, dass sich die Kirchen als zivilgesellschaftliche Akteure für mehr Klimaschutz einsetzen sollten.

Während einer Lesung aus ihrem Buch „Klima im Kopf“ erklärte uns die Psychologin Katharina van Bronswijk zum Ende der Tagung die vielen möglichen Emotionen, mit denen wir Menschen der ökologischen Krise begegnen -  und wie wir diese nutzen können, um Motivation für Veränderung zu entwickeln und gesellschaftliche Normen zu hinterfragen.

Unser Fazit nach zwei inhaltsreichen und spannenden Tagen: Wir müssen Familien und Klimapolitik zusammen denken! Familien brauchen Klimaschutz für ihre Zukunft und Klimaschutzmaßnahmen brauchen Familien, die sie verstehen, akzeptieren und umsetzen.

Wir fordern, dass klimapolitische Maßnahmen immer auch daraufhin überprüft werden, welche Auswirkungen sie auf Familien haben – genauso wie die Frage gestellt werden muss, ob Familienpolitik nicht nur für Familien, sondern auch für das Klima nachhaltig ist. Unseren Auftrag als Familienverband verstehen wir so, die Bundespolitik immer wieder mit diesen Fragen zu konfrontieren.

Gleichzeitig ist es unsere Aufgabe, gegenüber Kirche und Politik die Rolle von Familien als aktive Gestalterinnen einer klimagerechten Gesellschaft deutlich zu machen und sie dabei zu unterstützen.