Grußwort zur Jahrestagung „Jetzt wird’s aber Zeit! Eckpunkte für eine familienfreundliche Zeitpolitik“ am 21./22. September 2022 in Ludwigshafen
Sehr geehrte Frau Kirchenpräsidentin Wüst,
sehr geehrter Herr PD Dr. Bujard (Präsident der eaf),
sehr geehrte Frau Kraus (Bundesgeschäftsführerin der eaf),
sehr geehrte Frau Heinemeyer (Vorstandsvorsitzende der eaf Pfalz),
sehr geehrte Frau Achtermann (Geschäftsführerin der eaf Pfalz),
sehr geehrte Damen und Herren; sehr geehrte Anwesende,
herzlichen Dank für die Einladung zu Ihrer Jahrestagung hier in Ludwigshafen und auch die Möglichkeit, ein Grußwort sprechen zu dürfen. Leider kann Frau Ministerin Binz, die sehr gerne zu Ihnen gekommen wäre, heute Abend nicht hier sein. Sie hat mich jedoch gebeten, Ihnen herzliche Grüße zu übermitteln.
Die Bitte war, dass ich im Rahmen meines Grußwortes auf die familienpolitischen Schwerpunkte unseres Ministeriums eingehe. Das will ich auch gerne tun, aber lassen Sie mich beginnen mit ein paar Worten zur evangelischen arbeitsgemeinschaft familie - eaf.
Die eaf ist für uns als oberste Landesjugend- und -familienbehörde in Rheinland-Pfalz eine inhaltlich und strategisch wichtige Partnerin. Wenn ich mir die Themen anschaue, die Sie verhandeln und klären, so sind das die aus unserer Sicht familienpolitisch relevanten Aufgaben.
Sie haben Position bezogen zu den großen Gesetzgebungsvorhaben der Bundesregierung, wie beispielweise das Gute Kita Gesetz oder das Kinder- und Jugendstärkungsgesetz, sie haben sich mit Fragen der Reproduktionsmedizin oder der Adoption befasst und natürlich auch ganz intensiv mit den Auswirkungen der Corona-Pandemie auf die Lebenssituationen von Familien. Ihnen ist es gelungen – auch durch die vielfältigen Netzwerke, die sie auf Bundesebene haben – Themen klug in den politischen Debatten zu platzieren.
Als Evangelische Arbeitsgemeinschaft Familie sind Sie ein Sprachrohr für Familien. Sie zeigen Missstände auf und mahnen Fehlentwicklungen an. Aber zugleich geben Sie auch Impulse für die Familienpolitik auf Bundesebene und in den Ländern. Sie entwickeln Konzepte, eigene Entwürfe, kritisieren Entwicklungen und geben das alles an die Politik weiter. So setzen Sie viele wichtige familienpolitische Ideen, um die Situation von Familien in Deutschland zu verbessern.
Meine sehr geehrten Damen und Herren, sehr geehrte Anwesende,
Ihre Impulse sind wichtig und Sie werden von uns gerne gehört. Wir teilen Ihren weiten Familienbegriff und begreifen Familie als einen Ort, wo Menschen füreinander sorgen und Verantwortung für einander übernehmen. Familie ist Vielfalt, sie ist bunt und Familie haben alle.
Der Blick nach Rheinland-Pfalz – was sind unsere großen familienpolitischen Schwerpunkte?
Ich will mit dem Thema Ihrer Jahrestagung beginnen – der Zeitpolitik. Wir durften heute schon einen interessanten Vortrag von Frau Dr. Karin Jurczyk hören, die sich für „atmende“ Lebensläufe einsetzt, um Zeitbedürfnisse entlang der Lebensphasen und Lebenslagen mitzudenken und so Zeit für die Sorge um Andere zu ermöglichen.
Die eaf hat einen interessanten, an einer konkreten Lebensphase orientierten Vorschlag zur Stärkung der Zeitsouveränität von Familien entwickelt, den sie morgen vertieft diskutieren werden.
Zeitpolitik ist auch für uns ein ganz zentrales Anliegen.
Viele Familien kennen das Gefühl zu wenig Zeit zu haben leider sehr gut. Zeit ist ein begrenztes Gut. Während der Corona Pandemie wurden diese Probleme besonders deutlich. Eltern minderjähriger Kinder mussten mehr leisten, weil die Unterstützungsangebote weggefallen sind. Betreuungseinrichtungen waren geschlossen und Kinder mussten zu Hause betreut werden. Unterricht fand im homeschooling statt und das Ganze musste mit dem Beruf vereinbart werden. Die psychischen Belastungen haben für alle Familienmitglieder zugenommen.
Leider ist die Bewältigung des Familienalltages immer noch zu häufig Frauensache. Aus diversen Studien wissen wir, dass in der Pandemie zwar auch Männer mehr Zeit für ihre Familien aufgewendet haben. Gleichwohl bleibt immer noch ein großer Unterschied zu der Zeit die Frauen aufwenden. Das bedeutet, dass wir Familienzeitpolitik an alle Familien adressieren und hierbei verstärkt die Väter einbinden müssen.
Familienzeitpolitik ist auch Arbeitszeitpolitik. Die Pandemie hat uns in besonderem Maß gelehrt, wie wichtig Flexibilität bei Arbeitszeitmodellen ist. Daher kommen Ihre Eckpunkte für die Einführung einer dynamischen Familienarbeitszeit zum richtigen Zeitpunkt. Es ist wichtig, dass die neue Flexibilität bei Arbeitsverhältnissen nicht wieder verloren geht, je mehr die Auswirkungen der Pandemie in der Gesellschaft zurückgehen. Hier müssen wir gemeinsam dranbleiben und auch weiterdenken, um die Vereinbarkeit von Familienarbeit und Erwerbsarbeit zu verbessern.
Die Entscheidungen für die Aufteilung der Care-Arbeit sollten nicht in erster Linie aus finanzieller Sicht getroffen werden. Allerdings sehe ich, dass es für eine wirkliche Wahlfreiheit noch ein weiter Weg ist. Fachkräftemangel, die Krisen unserer Zeit und Interessen der Arbeitgeber machen es nicht leicht, hier gute Lösungen zu finden.
Meine sehr geehrten Damen und Herren, sehr geehrte Anwesende,
wir haben uns in der Landespolitik in den letzten Jahren intensiv mit Zeitpolitik für Familien außerhalb der Arbeitszeitpolitik auseinandergesetzt. Dabei sind für uns Kommunen ein wichtiger Bestandteil für das Gelingen einer guten Zeitpolitik. Es handelt sich um den Ort, an dem die meisten relevanten Punkte zusammenlaufen, wo die Zeittaktgeber für Familien sitzen. Arbeitszeiten, Pendelzeiten, Kita- oder Schulöffnungszeiten, ÖPNV-Taktzeiten und Öffnungszeiten von Dienstleistern, wie etwa Kinderarztpraxen oder auch von Verwaltungen, sind nicht immer so aufeinander abgestimmt, wie es für den Alltag der Familien sinnvoll wäre.
Wir haben deshalb einen Leitfaden für Zeitpolitik in den Kommunen entwickelt. Dieser unterstützt Kommunen dabei, Zeitbedürfnisse von Familien zu identifizieren, Akteure zu bestimmen und letztlich Zeitbedürfnisse langfristig zu decken. Von einer guten Zeitpolitik profitieren nicht nur die Familien, sondern auch Arbeitgeber und Kommunen. Wir hatten einen Wettbewerb „Kommunale Politik für mehr Familienzeit“ ausgerufen. Daran beteiligten sich 18 Kommunen aus Rheinland-Pfalz mit tollen Projekten. Für uns als Ministerium hat sich gezeigt, wie wichtig die Einbindung der Kommunalpolitik ist und es geht uns darum, das Thema in den Kommunen und mit den Kommunen weiter voranzubringen.
Ein zweiter Schwerpunkt unserer Familienpolitik, der durchaus auch zum Zeitthema passt, ist eine gute Infrastruktur für Familien in Rheinland-Pfalz. Mit über 100 Familieninstitutionen, die wir als Land unterstützen, haben wir in nahezu allen Landkreisen wichtige Anlaufstellen und Orte der Begegnung für alle Familien. Mit unserem Landesprogramm „Häuser der Familie“ bündeln wir vor Ort Angebote für Familien. Die Häuser der Familie verstehen sich als Plattform kommunaler familienfreundlicher Infrastrukturleistungen: Sie ermöglichen Familien einen barrierefreien Zugang zu Angeboten der Begegnung, Betreuung, Bildung, Integration und sozialen Teilhabe. Die Häuser fördern auch die Vernetzung der familienpolitischen Akteure vor Ort. Ähnliches leisten ebenso unsere Familienbildungsstätten und Familienzentren.
Meine sehr geehrten Damen und Herren, sehr geehrte Anwesende,
die Unverzichtbarkeit unserer Familieninstitutionen und ihrer Angebote hat sich mehr als deutlich während der Corona-Pandemie gezeigt, aber auch jetzt in dieser schwierigen Zeit des Krieges in Europa. Familien bewältigen die Krisen, die immer auch mit Belastungen einhergehen unterschiedlich und abhängig von der Familienstruktur und Ressourcen wie insbesondere Einkommen und Wohnen.
Ein dritter Schwerpunkt unserer Familienpolitik ist die Entlastung von Familien. Die Entlastung von Familien ist im Übrigen eine der zentralen Empfehlungen des 9. Familienberichts. Während der Pandemie hatten wir das Programm „Familienferien zu Hause - Langeweile ausgeschlossen“ entwickelt. Familienbildungsstätten organisieren Tagesangebote für Familien, die nicht in Urlaub fahren konnten. Das Angebot bleibt auch nach dem Ende der Kontaktbeschränkungen für Familien interessant, die sich keinen Urlaub leisten können.
Ein anderes Beispiel mit Blick auf die Entlastung von Familien: die jährliche Familien-Feriensommeraktion. Hierbei erhalten kinderreiche Familien und Alleinerziehende mit geringem Einkommen die Gelegenheit, eine Woche Sommerurlaub in den Familienferienstätten und Jugendherbergen in Rheinland-Pfalz zu verbringen. Mit unseren Kooperationspartnern konnten wir diese schon zum 19. Mal durchführen. Es ist wichtig, auch abseits des Alltages Familien die Möglichkeit zu geben, Zeit miteinander zu verbringen und abzuschalten. Generell unterstützen wir darüber hinaus die Familienerholung für Familien mit einem geringen Einkommen mit einem Zuschuss.
Meine sehr geehrten Damen und Herren, sehr geehrte Anwesende,
ich will einen weiteren Aspekt unserer Familienpolitik in Rheinland-Pfalz streifen. Entlastung, Integration und Teilhabe wollen wir auch mit der Familienkarte Rheinland-Pfalz gestalten.
Im Rahmen eines Pilotprojektes erproben wir die Familienkarte seit Anfang des letzten Jahres in vier Kommunen. Wir haben zwischenzeitlich in diesen vier Kommunen über 8.000 Familienkarten ausgegeben und über 300 Partner:innen gewinnen können, die spezielle Angebote für Familien machen.
Die Familienkarte Rheinland-Pfalz, die wir in den kommenden Jahren landesweit flächendeckend einführen wollen, kombiniert als erstes Angebot seiner Art Unterstützungsangebote und Dienstleistungen für Familien mit Angeboten für einen nachhaltigen Lebensstil. Die Karte bezieht dabei alle interessierten Partner:innen aus den beteiligten Kommunen und der Träger ein. Wir wollen, dass die Familienkarte sich zum Navigator für Familien entwickelt, über die Familien an einer zentralen Stelle Informationen erhalten und landesweit auf Angebote zugreifen können. Wir wollen so die Angebote für Familien bekannter machen, die Zugänge vereinfachen und die Kommunikation stärken. Auch das ist wieder, wenn auch indirekt, Familienzeitpolitik.
Meine sehr geehrten Damen und Herren, sehr geehrte Anwesenden,
ich will auf einen letzten Aspekt zu sprechen kommen, der uns gemeinsam beschäftigt: Es geht um die Verankerung von Kinderrechten im Grundgesetz.
Wir sind uns einig in der Analyse der Ausgangslage: Kinder brauchen vielfältige Mitsprache- und Beteiligungsrechte. Aber das ist noch lange nicht selbstverständlich. Kinder sollen über ihre Rechte Bescheid wissen, sie aktiv einfordern, diskutieren und mitgestalten. Dann werden sie sich auch später als erwachsene Menschen für unsere Demokratie einsetzen können und hoffentlich auch wollen.
Die Chancen in unserer Gesellschaft müssen allen Kindern gleichermaßen offenstehen. Dafür steht die UN-Kinderrechtskonvention. Der Ausschuss für die Rechte des Kindes fordert seit Jahren die Bundesregierung dazu auf Kinderrechte in das Grundgesetz aufzunehmen.
Wir wollen Kindern Beteiligungsrechte einräumen, die ihre Bedürfnisse und Wünsche eigens würdigen. Wäre eine Beteiligung von Kindern im Grundgesetz verankert, dann müssten wir alle uns mit der Meinung von Kindern auseinandersetzen. Wir wollen Kinder so fördern, dass sie frühestmöglich die Prinzipien der Demokratie erlernen und so ein Teil unseres von Mitbestimmung geprägten Gesellschaftssystems werden. Damit das gelingt, müssen sie Beteiligung erleben.
Kurz: Ein „Kinderbewusstsein“ muss Leitlinie für die Wertentscheidungen aller Staatsgewalten werden. Dieses verfassungsrechtliche Signal ist überfällig. Wir brauchen starke Beteiligungsrechte bei staatlichen Entscheidungen, die die Rechte von Kindern unmittelbar betreffen.
Leider wurde in der vergangenen Legislaturperiode der Bundesregierung die Chance verpasst, Kinderrechte in Deutschland zukunftsfest auszugestalten.
Sie hatten als Evangelische Arbeitsgemeinschaft Familie einen Kompromissvorschlag zur Änderung Artikel 6 des Grundgesetzes formuliert und eine Kombination mit einer Staatszielbestimmung vorgeschlagen, um doch noch die Hürde der Zweidrittelmehrheit im Parlament zu nehmen.
Der Ansatz ist interessant, bleibt aber nach unserer Einschätzung hinter den Anforderungen der UN-Kinderrechtskonvention zurück und verzichtet auf die notwendige Verankerung der Rechte auf Schutz, Förderung und Beteiligung sowie die Orientierung des Staates am Kindeswohl.
Für uns war jedoch klar: bei der Frage der Kinderrechte gibt es keine Kompromisse – wir wollen eine umfassende Verankerung der Kinderrechte im Grundgesetz.
Die neue Bundesregierung hat im Koalitionsvertrag festgelegt Kinderrechte im Grundgesetz zu verankern und sich dabei an den Vorgaben der UN-Kinderrechtskonvention zu orientieren. Wir werden sicherlich noch viele politische Diskussionen zur Verankerung von Kinderrechten im Grundgesetz erleben. Neben den politischen Debatten braucht es aber auch ein breites Bündnis innerhalb der Zivilgesellschaft. Demokratie und Veränderung leben von den öffentlichen und politischen Diskursen und dem Ringen um die besten Antworten. Wir hoffen, dass Sie sich weiterhin in die Diskussionen einmischen werden.
Meine sehr geehrten Damen und Herren, sehr geehrte Anwesenden,
ich komme zum Schluss. Im Namen von Ministerin Binz möchte ich mich ganz herzlich für Ihre Arbeit und für Ihr Engagement für Familien bedanken. Sie sind im Kontext der evangelischen Kirche und der zivilgesellschaftlichen Arbeit für Familien eine wichtige Stimme.
Sie bündeln Kompetenz, Leidenschaft und Herz. Für Ihre weitere Arbeit wünsche ich Ihnen alles Gute, viel Erfolg und ich würde mich freuen, wenn Sie sich weiterhin an unserer Seite für Familien einsetzen.
Vielen Dank!
Claudia Porr, Abteilungsleiterin im Ministerium für Familie, Frauen, Kultur und Integration Rheinland-Pfalz