Kinderwunsch und Kindeswohl

Plädoyer für einen verantwortungsvollen Umgang mit Reproduktionsmedizin

Ein Kind zu bekommen - nicht immer die natürlichste Sache der Welt.

Die meisten Menschen wollen Familie. Auch in jüngeren Generationen ist der Wunsch nach Kindern ungebrochen. Wenn Paaren eine Erfüllung ihres Kinderwunsches auf natürliche Weise nicht gelingt, greifen viele auf reproduktionsmedizinische Unterstützung zurück.

 

Die Möglichkeiten, Angebote und Verfahren haben sich in den vergangenen Jahrzehnten erheblich erweitert. Zunehmend wird dabei auf dritte Personen und deren „Zellmaterial“ zurückgegriffen. Dabei fordert das Auseinanderfallen von genetischer und rechtlicher Elternschaft die tradierten Normen von Familie und Elterndasein heraus. Zusätzlich befördern wachsende kommerzielle Interessen den Einzug von Herstellungs- und Produktlogiken in die Reproduktionsmedizin, mit Folgen für alle Beteiligten. Diese Entwicklungen werfen ethische und rechtliche Fragen auf.

Die Verantwortung für das Kindeswohl muss auf verschiedenen Ebenen und von allen Beteiligten gemeinsam wahrgenommen werden. Die besondere Herausforderung im Rahmen der Reproduktionsmedizin ist, dass es sich um eine vorausschauende Verantwortung handelt, die prospektiv für ein noch nicht existierendes Kind wahrgenommen werden muss. Dies verlangt von allen Beteiligten eine besondere Sensibilität:

Reproduktionsmedizinische Fachkräfte

In der Reproduktionsmedizin Tätige tragen die Verantwortung dafür, dass das Kindeswohl zentrale Richtschnur im Rahmen des ärztlichen Handelns ist und nicht von kommerziellen oder anderen Interessen überlagert wird. Daher müssen die Anbieter reproduktionsmedizinischer Leistungen einen verantwortungsvollen Umgang mit bestimmten Techniken in der Praxis gewährleisten. Dazu gehört auch, dass von der Gesellschaft gesetzte ethische und juristische Grenzen akzeptiert werden. Zudem müssen die Anbieter Sorge dafür tragen, dass Kinderwunsch-Paare medizinisch umfassend informiert werden, um eine verantwortungsvolle Entscheidung für sich treffen zu können. Dazu gehört, dass Risiken und Folgen bestimmter Verfahren nicht verschwiegen oder beschönigt und aktiv Wissens- und Transparenzlücken geschlossen werden.

Paare mit Kinderwunsch

Paare mit Kinderwunsch tragen die Verantwortung dafür, schon bei der Inanspruchnahme von reproduktionsmedizinischer Unterstützung eine besondere Achtsamkeit im Hinblick auf die Rechte, Bedürfnisse und Interessen ihres zukünftigen Kindes zu zeigen. Zudem tragen sie Verantwortung dafür, dass ihr Kind in seiner Identitätsfindung nicht beeinträchtigt wird, seine Entstehungsgeschichte kennt und sein Recht auf Kenntnis der eigenen Abstammung wahrnehmen kann.

Gesetzlicher Rahmen

Gesellschaft und Staat haben die Aufgabe, der Reproduktionsmedizin einen gesetzlichen und strukturellen Rahmen zu setzen, der eine Inanspruchnahme in Verantwortung ermöglicht. Dies bedeutet einerseits, dass Paare, die eine solche Unterstützung benötigen, nicht unnötige Hürden zu überwinden haben und bestehende Diskriminierungen abgebaut werden. Dies bedeutet aber auch, dass der Gesetzgeber klare Grenzen für den Einsatz von Verfahren benennt, die das Kindeswohl oder das Wohl beteiligter Dritter gefährden können, und Bedingungen setzt, die dem Kindeswohl Rechnung tragen. Sind Folgen einer Methode nicht abzuschätzen oder bislang unzureichend erforscht, sollte sie im Sinne dieses Schutzauftrags bis zur Klärung der offenen Fragen nicht zugelassen werden.

Diese drei Verantwortungsebenen greifen ineinander. Zentrales Leitmotiv muss dabei sein, dass Kinder von der Gesellschaft ungeachtet ihrer Entstehungsgeschichte angenommen, in ihrer Entwicklung begleitet und vor jeglicher Form von Diskriminierung geschützt werden. Kinder brauchen eine klare rechtliche Zuordnung zu den Menschen, die Sorge für sie tragen, und den Schutz ihrer Rechte – von Anfang an und ungeachtet der Art ihrer Zeugung.

Basierend auf diesen Grundüberlegungen empfiehlt die eaf:

Die psychosoziale Beratung soll Kinderwunsch-Paare befähigen, die für sie passenden Entscheidungen treffen zu können. Vor allem im Interesse des Kindeswohls hält die eaf eine bundesweite Sicherstellungsverpflichtung für erforderlich, so dass in allen Regionen qualifizierte, niedrigschwellige und kostenlose Beratungsangebote zur Verfügung stehen. Durch bundeseinheitliche Qualitätsstandards ist dafür Sorge zu tragen, dass die Fachkräfte interdisziplinär ausgebildet und so in der Lage sind, umfassend bedarfsgerecht zu beraten. Die an der Kinderwunschbehandlung beteiligten Ärztinnen und Ärzte sollten gesetzlich verpflichtet werden, vor Beginn einer Behandlung auf die Möglichkeiten der behandlungsunabhängigen psychosozialen Beratung hinzuweisen. Kinderwunschzentren sollten zudem verpflichtet sein, mit unabhängigen Beratungsstellen zu kooperieren; dabei muss die Unabhängigkeit der Beratung sichergestellt sein.

Paare mit Kinderwunsch brauchen Rechtssicherheit und eine qualitativ hochwertige Versorgung – auch zum Wohl ihrer zukünftigen Kinder. Ein Fortpflanzungsmedizingesetz muss die gesamte Bandbreite der reproduktionsmedizinischen Tätigkeit regeln; neben der Zulässigkeit bestimmter Verfahren sind dies insbesondere die Rahmenbedingungen für die Anwendung bestimmter Methoden sowie Aspekte der Qualitätssicherung. Zudem muss die Tätigkeit reproduktionsmedizinischer Anbieter in Deutschland stärker als bisher transparent gemacht werden. Zu diesem Zweck ist ein verpflichtendes staatliches IVF-Register zu schaffen, das die Tätigkeit aller zugelassenen Anbieter in Deutschland, insbesondere Anwendungshäufigkeit und Ergebnisse bestimmter Methoden, umfassend abbildet.

  • Embryonenspenden sollten nur innerhalb eines engen gesetzlichen Rahmens ermöglicht werden. Um das Recht der so geborenen Kinder auf Kenntnis der eigenen Abstammung sicherzustellen und einer Kommerzialisierung von Embryonen entgegenzuwirken, sollten Embryonenspenden nur durch eine zentrale staatliche Vermittlungsstelle altruistisch an Kinderwunschpaare vermittelt werden dürfen. Das Handelsverbot für Embryonen muss aufrecht erhalten werden. Für vermittelte Embryonen ist ein Register analog zum Samenspende-Register zu schaffen, mittels dessen die Kinder später Auskunft über ihre Abstammung erlangen können. Auch die familienrechtliche Zuordnung der Kinder sollte wie bei einer Zeugung per Samenspende erfolgen.
  • Eizellspenden sollten – wenn überhaupt - in altruistischer Form und unter engen Rahmenbedingungen zugelassen werden. Vor einer gesetzlichen Zulassung müssen zunächst die medizinischen und gesellschaftlichen Folgen für Spenderinnen, austragende Mütter sowie für die Kinder wissenschaftlich unabhängig erforscht werden. Eine solche Folgenabschätzung ist zwingend vor der Zulassung durchzuführen und muss auch die Auswirkungen der Zulassung auf das Nachfrageverhalten in Deutschland sowie die Frage klären, wie eine Ausnutzung persönlicher Notlagen bei den Spenderinnen verhindert werden kann. Sollte sich der Gesetzgeber für die Zulassung der Eizellspende in Deutschland entscheiden, muss die Freiwilligkeit und Unentgeltlichkeit der Spende sowie das Recht der Kinder auf Kenntnis der eigenen Abstammung durch verfahrensrechtliche Vorgaben sichergestellt und kontrolliert werden.
  • Die Zahl der mittels Spendersamen eines Mannes gezeugten Kinder sollte gesetzlich begrenzt werden. Die Chancen eines persönlichen Kennenlernens von Spender und Kind erscheinen besser, wenn sich der Spender nicht durch die Vielzahl an Nachkommen überfordert fühlt. Zudem sollte das Samenspenderegister mittels Samenspende gezeugten Kindern ermöglichen, auch Kontakt zu genetischen Halbgeschwistern aufzunehmen, wenn beide Seiten dies möchten.
  • Am Verbot der Leihmutterschaft sollte festgehalten werden, da deren langfristige Folgen für das Kind und die Leihmutter bisher nicht abzusehen sind und die Gefahr einer Ausnutzung wirtschaftlicher Notlagen von Frauen besteht. Kinder dürfen allerdings nicht Leidtragende sein, wenn ihre Eltern im Ausland reproduktionsmedizinische Verfahren in Anspruch genommen haben, die hierzulande nicht zulässig sind. Kinder, die im Ausland durch Leihmutterschaft für deutsche Wunscheltern geboren werden, sollten diesen Eltern rechtlich zugeordnet werden können, wenn dies im – jeweils zu prüfenden - Einzelfall dem Kindeswohl entspricht, die Leihmutter dieser Zuordnung nach der Geburt freiwillig zugestimmt hat und die Rechtsordnung des Geburtslandes dies zulässt. Die Zuordnung sollte allein am Kindeswohl orientiert und unabhängig davon sein, ob ein Wunschelternteil mit dem Kind genetisch verwandt ist. Das Kind sollte zudem analog zum Anspruch auf Kenntnis der eigenen Abstammung einen gesetzlichen Anspruch auf Kenntnis seiner Leihmutter erhalten.

Denn fundierte wissenschaftliche Erkenntnisse über Risiken und Folgen bestimmter Verfahren sind die Basis für verantwortungsvolle gesetzgeberische Entscheidungen, wie eine Methode – auch im Sinne des Kindeswohls – reguliert werden sollte. Sie bilden zudem die Grundlage für eine verantwortungsvolle ärztliche und psychosoziale Beratung und Entscheidung des Kinderwunsch-Paares im Einzelfall. Eine von einzelnen Anbietern unabhängige Forschung zu reproduktionsmedizinischen Fragen muss von staatlicher Seite gefördert werden. Das betrifft die Forschung zu medizinischen Folgen und Risiken bestimmter Verfahren für Schwangere und Kinder ebenso wie die sozialwissenschaftliche und psychologische Forschung, insbesondere zu Folgen der Embryonen- und Gametenspende auf die Kindesentwicklung und das Zusammenleben in der Familie.

Die Art der Zeugung darf grundsätzlich nicht zu einer unterschiedlichen Behandlung der Kinder bei der rechtlichen Eltern-Kind-Zuordnung führen. Kinder brauchen eine verlässliche elterliche Zuordnung nach der Geburt, unabhängig davon, ob sie in einer gleich- oder verschiedengeschlechtlichen Partnerschaft aufwachsen. Der Grundsatz, dass die Frau, die das Kind gebiert, automatisch rechtliche Mutter des Kindes ist (§ 1591 BGB), sollte dabei beibehalten werden. Die Zuordnung von Kindern, die mittels künstlicher Befruchtung in eine lesbische Partnerschaft hineingeboren werden, sollte analog zu der bei heterosexuellen Paaren erfolgen (bei verheirateten Paaren qua Gesetz, bei nichtehelichen Lebensgemeinschaften durch Mutterschaftsanerkennung und gemeinsame Sorgeerklärung beim Jugendamt).

Aufgrund der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zur Stiefkindadoption in nichtehelichen Lebensgemeinschaften erscheint es aus verfassungsrechtlichen Gründen notwendig, die geltende Kostenregelung des § 27a SGB V in ihrer Engführung auf eheliche Paare zu korrigieren. Dasselbe gilt für gleichgeschlechtliche Paare und für Paare, die aus medizinischen Gründen auf eine Samenspende angewiesen sind. Entsprechend ist auch der Förderzuschuss des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (BMFSFJ) anzupassen. Um eine Gleichbehandlung aller Kinderwunschpaare in Deutschland zu erreichen, sollte dieser Zuschuss zukünftig unabhängig davon gezahlt werden, ob das jeweilige Bundesland eine entsprechende Förderung vorsieht. Zudem sollte der Gesetzgeber den Krankenkassen Instrumente an die Hand geben, mit denen sie auf die Preisgestaltung und Qualitätssicherung reproduktionsmedizinischer Leistungserbringer Einfluss nehmen können.

Die Rahmenbedingungen dafür müssen verbessert werden. Die zunehmende Inanspruchnahme der Reproduktionsmedizin hängt auch mit der Tatsache zusammen, dass Paare sich immer später entschließen, eine Familie zu gründen. Wenn man Menschen Mut machen will, früher im Leben Kinder zu kriegen, muss man ihnen die Existenzängste nehmen, die oft mit dieser Frage verbunden sind. Junge Paare müssen bei der Umsetzung ihres Kinderwunsches während Ausbildung, Studium oder in der Berufsanfangsphase besser unterstützt werden. Dazu gehört der Ausbau von verlässlichen Betreuungsangeboten für Kinder ebenso wie Verbesserungen im Arbeitsrecht, beispielsweise restriktivere Regelungen für befristete Verträge bei Berufsanfängern oder ein besserer Kündigungsschutz für Eltern nach Ende des Mutterschutzes oder der Elternzeit. Die derzeitigen Einschränkungen des Anspruchs auf Brückenteilzeit nach Betriebsgröße und Quote der bereits Teilzeitbeschäftigten müssen abgeschafft werden. Auch die Verfügbarkeit von ausreichend bezahlbarem Wohnraum für junge Familien bedarf besserer Förderung.